Die Tage werden nun immer kürzer, und vielen von uns läuft beim weiblichen Abschuss schlicht die Zeit davon. Schließlich sollte es spätestens zum Jahreswechsel Hahn in Ruh’ auf Rehwild heißen. Hier mal ein paar Gedanken, wie Sie es nächstes Jahr effektiver angehen können.

Den Supergau hat vielleicht der eine oder andere auch schon einmal erlebt: Je länger man anspricht und je mehr die Zeit voranschreitet, umso sicherer fällt das Urteil aus. Kurz vor dem Schwinden des Büchsenlichts dann der erlösende Knall, beim Herantreten an das Stück ist aber die Katastrophe perfekt: eine führende Geiß, wenn auch blutjung.

Einem Freund, mit dem ich vor über 20 Jahren auf Ansitz war, ist das im zweiten Jahr seines Jägerlebens passiert. Damals hatte er mehr Glück als Verstand, denn obwohl ihm der Jagdherr „ordentlich den Magen rein machte“ und er schon alles in Sachen Selbstanzeige im Kopf durchgespielt hatte, blies sein Mentor nach der Standpauke Entwarnung, denn dieser hatte zwei Tage zuvor einwandfrei auf demselben Hochsitz gesehen, wie das Kitz dieser dort bekannten Geiß in der angrenzenden Wiese totgemäht wurde. Die Selbstanzeige blieb aus. Aber leichtsinnig geschossen hat mein Freund nie wieder!

Grundsätzliches zum weiblichen Abschuss

Der weibliche Abschuss, da sind sich die meisten Experten einig, muss in erster Linie bei den Kitzen, Schmalrehen und idealerweise bei den alten Geißen getätigt werden. Einige Experten sprechen von älter als sieben Jahren, was allerdings sehr anspruchsvoll ist, nicht nur wegen des schwierigen Ansprechens. Denn in vielen stark bejagten Revieren wird man selten Böcke und auch Geißen finden, die überhaupt älter als vier oder fünf Jahre sind.


Die korrekte Ansprache eines Bocks will gelernt sein,
die einer Geiß ist die hohe Schule der Rehwildjagd!

Also wird man zusätzliche Auswahlkriterien heranziehen müssen. Einige als untrügerisch hinzugezogene Merkmale entpuppen sich bei näherer Betrachtung jedoch ebenfalls als unsichere Indizien. Beispiele gefällig? Das Verfärben im Mai bis Frühsommer hängt davon ab, in welchem körperlichen Zustand die Stücke aus dem Winter gekommen sind bzw. ob sie Kitze innehaben. Schmalrehe werden deshalb meist früher rot! Aber auch nichttragende Geißen oder Geltgeißen können früh verfärbt haben, weil ihre Hauptenergie nicht für das Wachstum der Föten gebraucht wird, sondern in einen zeitigen Haarwechsel fließt. So wird eine alte Tante manchmal als jung und gesund angesprochen, während eine noch graue Geiß im besten Alter mit zwei Kitzen als abschusswürdig klassifiziert wird.

Darüber hinaus kann beim Ansprechen schon ein anderer Blickwinkel über Wohl oder Wehe entscheiden: Breit stehende Rehe wirken immer größer als spitz stehende. Ich kann mich an eine Beobachtung erinnern, bei dem Körperbau und Haupt einer einwandfrei identifizierten jüngeren Geiß – von vorne betrachtet – plötzlich wie bei einem Kitz aussahen. Im Erregungszustand bei aufgestellten Haaren wirkt ein Stück stärker, während ein rangniederes Tier sich immer klein und „unsichtbar“ machen will. Man muss daher sehr gewissenhaft alle abgreifbaren Merkmale ansprechen und besser einmal zu viel hinschauen.

Früher Vogel bei den Schmalrehen

Im April (dort, wo erlaubt), Mai und Juni liegt der Fokus eindeutig auf den Schmalrehen. Dabei sollte jedes Schmalreh erlegt werden, um so auf den Zuwachs einwirken zu können. Denn sehen tut man ohnehin weniger, als da sind. Dabei durchaus Minisprünge mit mehreren Rehen lokalisieren, denn die bestehen in der Regel aus einjährigen Stücken. Gerade in den ersten Wochen der Jagdzeit sind Schmalrehe noch einfach anzusprechen.

Bis Mitte Juni zeigt auch eine Geiß, die gesetzt und sogar gerade gesäugt hat, zwischen den Keulen an, wie es um ihren Familienstand bestellt ist. In dieser Zeit sind sie zudem unverträglich gegenüber dem eigenen Nachwuchs aus dem Vorjahr – sollte dieser zu nahe kommen, wird er verjagt; ebenfalls ein gutes Indiz, um anzusprechen.

Wo erlaubt im April, aber spätestens ab Anfang Mai sollte jedes Schmalreh erlegt werden!

Die frühe Jagd hat noch einen weiteren großen Vorteil: Sie ist leicht, und die überschaubare Zahl an Ansitzen stört das andere Wild weniger. Denn Jagddruck bedeutet Stress, und der wächst zum Ende des Jahres mit den Bewegungsjagden ohnehin an. Gestresste Tiere haben wiederum einen gesteigerten Energiebedarf, der durch Verbiss in den Dickungen und die Verjüngung gedeckt werden muss, weil sie nicht mehr ungestört umherbummeln können.

Ab Mitte Juni wird es dann deutlich schwieriger, da nun auch die gesunden Schmalrehe körperlich deutlich aufgeholt haben und ihren Müttern und Tanten ähnlich sehen. Darüber hinaus geht die Ausprägung des Gesäuges bei den Geißen zurück, schließlich beginnt der Nachwuchs sich mehr und mehr auf pflanzliche Nahrung umzustellen. Das startet mit etwa vier Wochen. Mit zunehmendem Alter steigt die Pansenkapazität kontinuierlich an, und der Nachwuchs wird nach und nach von der Milch entwöhnt.

Kitzabschuss – jetzt aber ran an den Speck

Das häufigste Argument gegen den frühen Kitzabschuss kommt meist von uns Jägern selbst – das geringe Wildbretgewicht. Doch das täuscht, denn ein Kitz in der Winterdecke wirkt nur sehr viel massiver. In Wirklichkeit reden wir über maximal zwei Kilogramm mehr oder weniger Gewicht. Dafür läuft uns aber irgendwann die Zeit davon, denn im Oktober werden die Rehe fast unsichtbar, um mit dem ersten Frost oder Schnee dann wieder vermehrt aufzutauchen.

Deshalb sollte sich der Jäger Ende August schon nach den passenden Geißen und Kitzen umschauen und sofort im September mit dem Jagdaufgang Strecke machen. Im ersten Schritt sind alle schwachen Kitze ohne Rücksicht auf das Geschlecht zu er­legen. Allein der körperliche Zustand ist als Abschusskriterium entscheidend. Kümmern beide Kitze oder gar Drillinge, entnimmt man idealerweise gleich den ganzen Familienverband.


Geiß und Kitze muss man nach dem Setzen stets im Auge behalten. Ab September alle schwachen Kitze, bei zwei Kitzen immer das Schwächere erlegen.

Ein Ansatz namhafter ostdeutscher Jagdwissenschaftler spricht sich dafür aus, dass alle Geißen am besten nur ein Kitz haben sollten – sie plädieren für den Abschuss des Schwächeren oder bei Gleichstarken immer des Geißkitzes. Generell sollte bei Zwillingskitzen stets so früh wie möglich geschossen werden. Das hat nichts mit mit Milchmengen oder Ähnlichem für das verbleibende Kitz zu tun. Die Geiß braucht bei nur einem Kitz einfach weniger Energie für die Milchproduktion, sodass sie ihre Energie schneller in den Haarwechsel und den Feistaufbau investieren kann – mit der Folge, dass sie gut durch den Winter kommt und damit die künftige Kitzgeneration stärker wird.

Bis Ende Oktober sollten im Idealfall 60 bis 70 Prozent des weiblichen Abschusses in der Wildkammer hängen. In den Herbsttagen nutzt man vor allem warmes, sonniges Wetter, da das Rehwild während des Haarwechsels empfindlich auf kühl-feuchte Witterung reagiert. Bis Mitte November herrscht dann die übliche Flaute. Erste Nachtfröste und Schnee verändern die Lage wieder positiv. Die Rehe bummeln dann gern morgens umher oder besuchen in den Mittagsstunden sonnige Plätze.

Von jungen Gören und alten Tanten

War die Jagd und vor allem das Ansprechen bis hierhin noch recht einfach, wird es bei den Geißen richtig anspruchsvoll. Nicht nur die Ansprache ist komplex, denn wo eine steht, sind meist mehrere zuhause. Eine Geiß beansprucht einen bestimmten Lebensraum für sich, in dem sie Nahrung, Ruhe und Deckung findet. Entscheidend ist dort das Äsungsangebot, was sich im Laufe des Jahres ändert und wodurch die Fläche größer (Nachwuchs) und kleiner werden kann. Sie bewohnt ihren Geißenwohnraum, der zwar kleiner als der eines Bockes ist, aber mit den Lebensräumen anderer Geißen überlappt.


Der ältere weibliche Nachwuchs wird dabei geduldet und belegt die Randbereiche des Mutterterritoriums. So bewohnen mehrere miteinander verwandte Familien das sogenannte „Sippenrevier“.
Jüngere, rangniedere Geißen weichen immer den älteren aus und belegen die unattraktiveren Zonen. Wegen dieser schlechteren „Wohnräume“ hinken deren Kitze in der Entwicklung hinterher, weil der Ernährungszustand der Mutter mitentscheidend ist.


Erlegen tun wir schwache Geißen mit schwachem Nachwuchs, spät setzende Geißen samt Kitze, überalterte Geißen und Geltgeißen sowie im Herbst auffallend spät verfärbende Stücke.

Ausgeglichen wird das, indem Erstgebärende meist nur ein Kitz setzen. Je früher eine Geiß setzt, desto bessere Nahrung findet sie selbst und desto höher ist ihre Milchproduktion, was wiederum dem Nachwuchs zugutekommt. „Maikitze“ haben insgesamt bessere Wachstumsbedingungen als solche, die im Juni gesetzt werden. Deshalb sollten generell auch die Mütter der spät gesetzten Kitze mitgeschossen werden, weil diese wahrscheinlich immer so spät setzen werden.

Diese Zusammenhänge berücksichtigend, ergibt sich für den Geißenabschuss – natürlich immer Kitz(e) vor der Geiß – folgende Empfehlung und Rangfolge: 1. schwache Ricken und ihre schwachen Kitze, 2. spät setzende Geißen im Idealfall zusammen mit dem Nachwuchs (der geht sonst schlecht in den Winter), 3. überalterte Ricken und echte Geltricken (dauerhaft unfruchtbar) und 4. Mütter von schlechten Jährlingen erlegen.

Sollten Sie beim weiblichen Abschuss deutlich hinterherhinken, können Sie den einen oder anderen Punkt aus dem Beitrag ja nächstes Jahr mal in der Praxis ausprobieren. Doch bitte stets daran denken: Der erste Eindruck, den ein Stück beim Ansprechen hinterlässt, ist meist der richtige! Gibt es nur den leisesten Zweifel, bleibt der Finger gerade und die Kugel im Lauf.
Na dann Waidmannsheil



JAGDZEITEN EFFEKTIV NUTZEN

Schmalrehe

April (wo erlaubt), Mai bis spätestens Mitte Juni konsequent
die Einjährigen erlegen.


Kitze

Gleich ab September alle schwachen Kitze schießen.

Bei Zwillingen immer das schwächere Kitz erlegen.

Bei schwachen Kitzen und schwacher Geiß möglichst den
ganzen Familienverband entnehmen.

Bis Ende Oktober sollten 60 bis 70 Prozent des weiblichen
Abschusses getätigt sein.

Geißen

Schwache Geißen mit schwachem Nachwuchs.

Spät setzende Geißen samt Kitze.

Überalterte Geißen und echte Geltgeißen.

Im Herbst auffallend spät verfärbende Geißen (meist krank oder uralt).

Mütter von schlechten Jährlingen und Schmalrehen.

Darüber hinaus sollten alle Stücke erlegt werden, die eine
struppige, glanzlose Decke oder einen verschmutzten, verklebten
Spiegel haben und/oder solche, die husten (Rachendassel-Befall).


Text: Franziska und Sascha Numßen
Bilder: 2x Bob Brewer - unsplash, Bence Kovacs - unsplash, FN, SN

 

November 02, 2024 — Karl-Heinz Reinold